4300 Suchergebnisse für Bernd Rummert
von Wolfgang Mennel
Zur Ausstellungseröffnung in der Galerei Beate Berndt in Augsburg, 23.9.2014
"Bernd Rummert interessiert sich jedoch nicht für die Kraftschlüssigkeit von Federringen: er sperrt nicht ab, er verbindet und öffnet neue Räume."
4300 Suchergebnisse für Bernd
Bernd Rummert in der Galerie Beate Berndt, 23.9.2014
Wir leben in einer freien Gesellschaft. Jeder von uns hat unter anderem das Recht Kunst zum Kotzen zu finden. Angesichts dessen was alles Kunst zu sein behauptet und angesichts des Verhaltens der Akteure auf dem Marktplatz, kann man es schlecht jemandem übelnehmen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Die einen bemängeln, dass Kunst kein Rock ‘n’ Roll ist, den anderen missfällt, dass Kunst nur noch für die Sparte Event taugt, wieder anderen stößt übel auf, dass Kunst immer mehr eine Ware geworden ist im neoliberalen Kapitalismus, der uns derzeit als alternativlos aufgezwungen wird, Kunst als Anlage- und Spekulationsobjekt, also als Wertmarke in den Zockereien der Wirtschaftskriminellen. Zum Glück gibt es gar keine Kunst, sondern allenfalls Zustände, die als Kunst beschrieben werden. Manche sagen: Kunst ist, was im Museum hängt. Und was im Rathaus hängt ist Rathauskunst, und was in der Raiffeisenbank hängt ist Raiffeisenbankkunst. Andere denken eher merkantil und erkennen am Preisschild, ob etwas Kunst ist oder Krempel. Schließlich gibt es welche, die bewerten die Welt nach der Anzahl der Suchergebnisse, die Google zu einem bestimmten Suchwort auswirft.
Constanin Brancusi: 176.000 Bernd Rummert: 4.300 Noch Fragen? Zum Glück gibt es Zahlen. Was Kunstwerke zur Ware prädestiniert ist gerade ihre Quantifizierbarkeit: Größe, Gewicht sind umrechenbar in Preise, die sich wiederum im Jahresverlauf schön in Kurven abbilden lassen. Je schöner das Kunstwerk, desto schöner die Kurve, dh desto steiler. Je mehr Kunstwerke desto mehr der Sammler, je mehr Sammler desto mehr Messe, je mehr Messe desto mehr Mist. Zahlen sind bekanntlich keine neutralen Maßangaben. Das Quantifizierte z B 176.000, schlägt heute sofort in Qualität um. Das erste Suchergebnis ist immer das beste, vor allem weil die anderen meist nie angeklickt werden. Da es in unserer beschleunigten Zeit nicht angesagt ist, Zeit mit den Verlierern zu verschwenden, schweige ich von Brancusi und spreche von Rummert.
4300 ist eine eindrucksvolle Zahl. Aber 40.000 ist schon noch mehr, das werden Sie zugeben. (als ich gestern bei wikipedia das Wort Erdumfang eingegeben habe, wurde ich auf eine Seite ohne Inhalte gelenkt und mit einem trockenen Hinweis abgespeist: „Diese Seite wurde zuletzt am 16. Januar 2013 um 03:50 Uhr geändert“. Wahrscheinlich hat sich irgendein Immobilienscheich die Rechte an der Neuberechnung der Erde gesichert, und mit neuen größeren Werten lassen sich dann sicher höhere Preise realisieren. Auf einer anderen Seite schreibt ein kundiger Mensch: „Erdumfang: 40.079 km (ungefähr)“. Dieses „(ungefähr)“ ist sehr tröstlich. Das lässt Raum für Spekulation, sowohl die der Haie, wie die der Künstler. Denn hier befinden wir uns am Beginn des Rummertschen Künstlerlebens: Da bildet sich schon ein Bild: Bernd Rummert hat wie jeder junge Mensch in Bildhauerklassen Steine geklopft. Er hat dabei wie vorgeschrieben das unwichtige weggeschlagen und sich bemüht, damit nur das Wesentliche übrig bleibt: das war aber beim ihm die Erkenntnis: „Ich bin kein Bildhauer, ich bin etwas anderes. Was das sein könnte, muss ich entwickeln“.
Wir dürfen ruhig eine Parallele sehen zwischen dem sich entwickelnden Leben und dem langsamen Wachsen einer Plastik. Der Idealzustand wird nicht dann erreicht sein, wenn nichts mehr wegzunehmen ist, sondern dann, wenn nichts mehr hinzugefügt werden muss. Am zweiten Anfang war das Konzept: sich einmal um die Erde zu drehen, einmal alles umfassen, - und wie könnte man das beweisen, wie könnte man diese Denk-Distanz sinnlich repräsentieren? Anhand von abgespultem Draht vielleicht. Bernd Rummerts Kunst- und Lebenskonzept besteht im Kern in der Absicht Draht in der Gesamtlänge von „40.079 km (ungefähr)“ abzuwickeln, Teile abzusondern, sozusagen Ideen-Etappen auszuarbeiten, Zustandsoasen zum Blühen zu bringen. Matthew Barney hätte sich bei gleicher Ausgangslage vielleicht exakt 40.079 km Kupferdraht auf eine Rolle wickeln lassen, das Ganze unter kollosalem Opernlärm in eine Schwefelmine gerollt eine filmische Dokumentation erstellt und anderntags mit den Planungen für das nächste Kunstwerk begonnen. Bei Rummert sieht das eher unspektakulär aus: Er kauft sich Draht von einfacher Qualität (nur nichts Wertvolles!). Eine Zange braucht er nicht zu kaufen, die hat er schon. Und wenn er gerade noch Plastikbehälter sieht, in denen er eine schöne Form erkennt oder erahnt, dann kauft er die auch noch im Dutzend. Aber er ist gewiss auch keiner der billiges Material kauft um so zu tun, als sei er ein armer, gefühlsechter Naiver am Ur-Beginn des Menschseins. Und er arbeitet allein. Er braucht für seine Arbeit einen Stuhl, einen Tisch, eine Zange, zwei Hände, einen Arm ohne Sehnenscheidenentzündung, (neuerdings hin und wieder ein paar Säureblocker) und Metall: auf Spulen gewickelten Draht oder in Form von Federringen.
Folgendes ist Teil des öffentlichen Wissens: Die in einem Federring gespeicherte Verformungsarbeit hat Anteil an der elastischen Verformung, der die Schraubverbindung als Ganzes unterliegt und ist somit kraftschlüssig. Lassen Sie sich gesagt sein, dass der Kraftschluss bei Sperrzahnschrauben wesentlich größer ist als bei Federringen. Bernd Rummert interessiert sich jedoch nicht für die Kraftschlüssigkeit von Federringen: er sperrt nicht ab, er verbindet und öffnet neue Räume. Er errichtet keine Blockaden, er nutzt die Energie der Federringe, die der Kraftschlüssigkeit entgegenwirkt, indem er die Ringe locker verkettet. Nehmen Sie die Matten: Grundlage ist ein Quadrat, zum Beispiel 25x25 cm. Wie Rummert zu diesem Maß kommt ist auch für sein Konzept erhellend: „Das kann ich am Tisch sitzend bequem und dauerhaft bearbeiten.“ Der Mensch Rummert in seiner Alltagsausgabe ist der Bezugspunkt der künstlerischen Ausarbeitungen. Sie denken selbstverständlich gleich an da Vincis Darstellung eines Menschen mit ausgestreckten Armen in einem Kreis: das Schema der Beziehung von ästhetischer Norm und menschlicher Dimension. Die Grundquadrate werden dann miteinander zu größeren Einheiten verknüpft. Kettennetze und Kettenhemden, die durchaus den Rahmen der Gemütlichkeit sprengen können, Eisennetzlandschaften unter denen das gesamte Mobiliar eines Zimmers verschwinden kann, wie in der wunderbaren Arbeit Schutzraum, damals 2001 in der Galerie Kulturesk in Augsburg.
Die Quadrate an den Messermagnetstreifen sind zum Beispiel 40x40cm; das sind 63x63 Federringe, und einige erbleichen schon, weil sie längst ausgerechnet haben, dass da 3969 Ringe im Netz verarbeitet wurden, - 3969 mal aufbiegen und wieder zusammenbiegen. Wäre Bernd 9 Jahre alt würden wir es als Kinderarbeit brandmarken, angesichts seines reifen Alters nennen wir es vielleicht besser die Abfolge eines repetetiv-meditativen Bewegungsmusters, wie es bereits im mittelalterlichen Handwerksbetrieb vorgekommen sein mag. Diese Quadrate und Quadraterweiterungen sind als Grundform zu sehen, die man flach auf dem Boden auslegen kann, als zweidimensionalen Gegenstand (wenn wir einen Augenblick vernächlässigen, dass auch das Netz aus Federringen schon einen Raum beansprucht.) Sobald man auch nur einen Teil des Netzes nach oben schiebt, erhält es sofort räumliche Gestalt. Mit jeder weiteren Verschiebung des Netzes, mit jedem Übereinanderklappen und Zusammschieben verändert sich dieser Raumkörper.
Und wenn man Bernd Rummert dabei zusieht, wie er seine Netze in räumliche Form bringt, ist offensichtlich welche Lust ihm das Erfinden von Raum macht: da sind wir wieder beim Plastiker, der sich durch die Ausbildung von Räumen in die Welt vorarbeitet. Auch die Farbe ist in Rummerts Arbeiten nicht dekoratives Oberflächenelement sondern Schicht in einem Körper oder selbst Volumen: Die Metallformen werden in Lack getaucht, wieder herausgezogen, die überschüssige Farbe tropft ab, aber ein Teil der Farbe trocknet auf dem Metall an; die Form wird nach der Trockenphase wieder eingetaucht, das Ganze vielfach wiederholt. Bei diesem Ablaufen und Antrocknen bildet sich aus einem anfänglichen Farbfilm nach und nach ein dicker Farbüberzug, der jedes Teil zu einer unverwechselbaren Plastik macht. Der Künstler lässt Schwerkraft und Materialeigenschaften wie Raumtemperatur und Trocknungszeit der Farbe an seinem Kunstraum mitarbeiten. Und wenn es nicht das Material Farbe ist, dann vielleicht das farbige Material: die grünen Kabelbinder zum Beispiel, die die räumliche Erscheinung erweitern und profilieren, die den Kunstgegenstand formen und ausserdem noch die Idee der Verbindung, der Annäherung und der Kommunikation in einem erweiterten Modus durchspielen, sodass zwischen den Materialien ein Gespräch stattfindet.
Sie müssen auch nicht denken dass Plastik und Eisen sich immer ernsthaft und auf akademischem Niveau unterhalten. Da wird auch manches Zufällige, Spontane losgelassen, da ist ein Witz keine Seltenheit. Dass Ernsthaftigkeit und Humor zwei Seiten einer kompletten Figur sind ist hier offensichtlich. Kunst ist ein Versprechen, sie soll ja immer viel und am besten: alles enthalten, zb das Gute, des Gefühlvolle, das Menschliche, die gute alte Zeit, das hochwertige, handwerkliche Können- aber diesem Imperativ beugt sich Rummert nur zum teil: seine Werke sind sehr wohl Produkte handwerklichen Geschicks, aber sie zelebrieren das sogenannte gute alte Handwerk nicht, sondern lassen immer auch das Zufällige, das Industrielle, das massenwarenhaft Hergestellte, das Globalproduktmäßige zu. Und es sind doch Unikate, diese seltsamen Figuren, zusammengesetzt aus gebogenem, gedrehtem und ungebeugtem Stahl, die wie Wesen aus einer seltsamen Phantasie erscheinen. Sie sind aus der Spiellust heraus gezeugt.
Die überhaupt eine große Antriebsfeder für Bernd Rummert ist. Wie er mit der räumlichen Anodnung der Netze spielt, spielt er auch mit Formen und Materialien und mit Wörtern. „Mikadowald“, „Deutschgerät“, „Pilzkorb“, um nur drei der Titel hier ausgestellter Werke zu nennen. Spielen Sie mit und geben Sie den widerborstigen Figuren Namen nach Lust und Laune. Namengebung ist ja immer auch eine rituelle Geste, eine Beschwörung, ein Fremder wird gleich weniger fremd, sobald er benannt ist: Name genannt, Gefahr gebannt, sagen Kinder. Trotzdem bleiben die Drahtwesen wie sie sind, seltsam und wie aus einer anderen Welt. Sie bedeuten nichts, sie erklären nichts: sie sind Wesen mit unbestimmter Energie und Ausstrahlung.
Da liegt das Wort Fetisch auf der Straße. Der Psychologe sagt: Fetisch macht dich stark; der Geldmensch sagt: Fetisch muss ich haben, dann kann mir keiner; ja, diese Stachelwesen werden Ihnen Kraft geben, und je mehr Geld Sie dafür aufwenden, desto mehr Kraft; wahrscheinlich sogar exponentiell gesteigert. Also zugreifen. Wenn Sie den Fetisch gekauft haben (und die Provision an die Galeristin nicht vergessen haben) und seiner Kraft dann doch nicht trauen sollten, dann entfernen Sie mit starken Lösungmitteln den Lack, wickeln Sie alle Drähte auf, addieren Sie die Einzelsummen und schon haben Sie herausgefunden, wieviele Meter der Endstrecke in diesem Werk verbaut waren. Dann haben Sie endlich Fakten geschaffen.
Allerdings ist dann das Kunstwerk kaputt, der Zauber weg, der Pilzkorb leer, Ihre Investition beim Teufel und der Warenfetisch nur noch ein Waschlappen. Bleiben sie lieber altmodisch romantisch und freuen Sie sich an dem hier ausgestellten Pilzkorb, träumen Sie bei seinem Anblick von einem guten Pilzgerich, wegen mir auch von bewusstseinerweiternden Pilzen und überlegen Sie, was Sie mit der schöpferischen Energie, die in einem solchen Pilzkorb verbaut ist, anstellen könnten. Im Pilzkorb wie in allen Werken wird die Idee als verbaute Wegstrecke in ein räumlich wahrnehmbares, sinnlich greifbares Objekt umgewandelt.
Aus der Idee (Weltumfang) und dem Konzept (Bindedraht und Lack) wird als Kunstobjekt etwas Neues, nicht und nie Vermutetes, das seinen Raum in dieser Welt beansprucht. Jeder Raum ist Lebensleistung, gesammelte Energie des Künstlers. In diesem Raumanspruch, diesem Raumgewinn ist ganz enthalten was Kunst leisten kann: ästhetische Gestaltung des Raums, die Idee des Reisens, das ja immer auch eine Raumerfahrung ist, die Freiheit des Gedankenflugs in ungeahnte Welträume, die Praxis der Kommunikation in der man sich und anderen neuen Raum gibt. Während man sonst in Ausstellungen oft gar nicht mehr über die einzelnen Werke redet, sondern nur noch über deren Inszenierung, sodass die Kunstwerke erst als verpackte ein Kunstwerk werden, stehen Rummerts Werke auf eigenen Beinen. Diese Kunstwerke nisten sich in den Räumen ein; sie brauchen keine Podeste um wahrgenommen zu werden. Sie finden überall Plätze, an denen sie zur Geltung kommen: Lichtschächte, Fensternischen, tote Winkel; Rummerts Werke inszenieren sich fast von selbst, sie sind einfach nur da, ohne auf die angestrengte, museale Zeigegeste angewiesen zu sein. Bernd Rummert ist ein Lebens-Konzeptkünstler, der es geschafft hat, in seinem Kunstschaffen alles Papiertrockne zu eliminieren, gedanklich klar zu bleiben, menschlich ausgerichtet und voller Witz.
Das ist schon sehr bewundernswert. Aber wie gesagt, manche finden Kunst zum Kotzen. Wir leben in einer vermeintlich freien Gesellschaft, und jeder muss wissen wohin er geht. Sich um die Erde zu drehen ist in jedem Fall einer der besten Wege.
(Wolfgang Mennel, 23. Sept. 2014)