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Der Ewigkeitsarbeiter

von Birgit Höppl

Da stetzt sich einer zum Ziel, nie anzukommen und geht los. Als roten Faden wählt er schwarzen Draht. Vorwärts und ... nur die Spur nicht aus den Augen verlieren, eine einfache Handlungsanleitung. (...)

Der Ewigkeitsarbeiter

von Birgit Höppl

Da stetzt sich einer zum Ziel, nie anzukommen und geht los. Als roten Faden wählt er schwarzen Draht. Vorwärts und ... nur die Spur nicht aus den Augen verlieren, eine einfache Handlungsanleitung. Nach über dreißig Jahren künstlerischen Weges hat sich erwiesen, dass Bernd Rummerts programmatisches Vorhaben, sein „Versuch, sich einmal um die Erde zu drehen“, keine kühl kalkulierte Platzierungsmethode in der Kunstlandschaft und keine kurzlebige Idee eines Kunstmarkt- Novizen war. Von wegen „einfach“ also. Rummert verwendet Draht, herkömmlichen, geglühten, schwärzlichen Bindedraht, wie er in jedem Eisenwarenladen zu haben ist. Er biegt ihn um die Backe einer Rundzange, so dass schlanke Zylinder als Zwischenprodukte oder „Teilplastiken“, wie er es nennt, entstehen. Oder er umwickelt grosse Holzstäbe, die vormals für die Heu-Trocknung als „Hoinza“ Verwendung fanden. Gehärtete Federringe oder selber gebogene Drahtringe sind sein zweites Basis-Material. Matt brüniert, glänzend verzinkt beziehungsweise unbehandelt, verbindet er sie zu metallischen Geweben. Er arbeitet exakt. Die einzelnen Arbeitsetappen sind langwierig. Jede Windung des Drahtes, jede Verbindung zweier Ringe zeugt von den Handgriffen des Bildhauers und von der Zeit, die der Vorgang in Anspruch genommen hat.

... begönne ich [...] mit der Erläuterung des Wortes Gedankengang, um Verständnis für meine Arbeit zu wecken. Auch um zu zeigen, dass je schneller einer geht, er um so langsamer denkt. Während Marathonläufer durchaus zu denken im Stande seien, höre ich mich sagen, könne man solches von einem Hundertmetersprinter nicht erwarten.
Gerhard Köpf, Die Strecke, Erstes Buch

Das ist die Basis: das beharrliche Abschreiten der Strecke. Heim-Arbeit nennt der Künstler das und es ist dabei unerheblich, ob es tatsächlich in der Wohnstube des Bauernhofes in den Stauden bei Augsburg passiert oder in einem Atelierraum seinen Ort hätte. Von Bedeutung ist das Machen, sind die dreckigen Hände und die Zeit. Sichtbare Speicher der Zeit sind die Ergebnisse. Der „Mikadowald“ stellt so einen Speicher dar. Er besteht aus vielen Dutzend einzeln gebogener Draht-Halme, deren Höhe in etwa die Handspanne des Künstlers misst. Um Anfang und Ende eines Halmes festzulegen und als Verbindungsmöglichkeit sind rechtwinklig zur Drehrichtung des Korpus fünf Windungen umgebogen. In wilder Dynamik dicht aneinandergelehnt, verbunden, auseinander strebend, wogend, ergeben die Senkrechten ein kraftvoll lebendiges Bündel. Wie die natürliche Erscheinung des Waldes formt auch Rummerts „Mikadowald“ sich zu immer neuen Ansichten, keine Präsentation stimmt mit der vorherigen völlig überein, kann mit der vorherigen völlig übereinstimmen, das Material behauptet seine Eigendynamik.
Ein Künstler, dessen Aussage nicht in vergängliche Performances mündet und der doch das Endprodukt nicht über alles stellt? Ein Bildhauer, der monate-, manchmal jahrelang an einem Objekt sitzt, das dann veränderlich bleibt? Mit der „Netzwerkmanufaktur“ gibt der Arbeiter Rummert uns Einblick in einen Entstehungsprozess. Dieser entwickelt sich Schritt für Schritt, wird nachvollziehbar händisch ausgeführt und hat die Art von Konzentration zur Voraussetzung, die eingelassen, sorgfältig und durchaus mit handwerklichem Selbstbewusstsein voranschreitet.
Ein jeweils gleich langes Stück Draht endet in einer kleinen Spirale. Dies ist der erste Schritt und ergibt das „Halbzeug“, das der weiteren Produktion als Ausgangsmaterial dient. Zwischengelagert auf Spindeln, werden die Drähte dann mit selbst gebogenen Metallringen zu Ketten verbunden. Kette an Kette zu einer Textur verwoben entsteht ein Geflecht, das schließlich zur Lagerung in einen Holzkasten eingespannt wird, der sich ohne vorlauten Eigensinn als notwendiges Arbeitsgerät in den Webvorgang eingliedert. Das fertige Werkstück, das mit hohem Materialeinsatz und serieller Genauigkeit entstanden ist, wird der Halterung entnommen und als „Netz“ mit den Drahtenden nach oben auf den Boden gelegt. Dieses Endprodukt überrascht in seiner Bescheidenheit. Es wirkt verblüffend organisch; als sei hier nicht Metall zu Metall gefügt, sondern als hätte man ein Stück abgezogenen Felles vor sich. Verletzlich, schutzbedürftig, gleichzeitig abwehrend – „rühr‘ mich nicht an“, ein eigenwilliges Artefakt.
 
Eigenwillig; als eigenbrötlerisch wurde ein Junggeselle bezeichnet, der in seinem Haushalt sein eigenes Brot buk; eigenartig ist dementsprechend einer, der in mönchischer Manier seine ganz eigene Spur in der Kunst verfolgt? „Zeit und Mühsal machen mir nix aus“, sagt er, aber manchmal büxt Rummert doch aus ins Spielerische, verwendet farbige Plastikmaterialien oder flaniert im Erzählerischen, um der Strenge und Schwere seiner Verdichtungsarbeit etwas entgegenzuhalten. Aber er ist kein Humorist in der Kunst. Wenn er auf die Präsenz und Wucht seiner Objekte vertraut, die meist in überschaubarem Format daherkommen, sprechen die Kraft der Wiederholung und die spürbare Entfaltung und gleichzeitige Verdinglichung der Zeit für sich. Bernd Rummert entschied sich nach biographischen Zwischenstationen im Alter von dreißig Jahren für die Kunst, studierte bei dem Steinbildhauer Leo Kornbrust in München, wurde dessen Meisterschüler und im Anschluss daran sein Assistent. In der Bildhauerklasse wandte er sich dem plastischen Vorgehen zu. Mit Sperrholzscheiben und aufgeschnittenen Fahrradschläuchen konstruierte er eine „Wirbelsäule“, die er mit den Gummischläuchen in Spannung brachte. Nach all den Jahren sind Teile dieser Gelenkachse noch erstaunlich gut erhalten, die Relikte zeigen beispielhaft den programmatischen Start: Kunst, die mit billigem Material arbeitet, arte povera; die Abkehr vom hehren Stein, der Dauer verspricht, hin zu Materialexperimenten, die der zerbrechlichen Existenz ein Bild geben möchten. Die konzeptuelle Setzung endlich, in der der Künstler den utopischen Anspruch formuliert, sich mit seiner selbstgewählten Richtschnur, dem Draht, einmal um die Erde drehen zu wollen, steht am Ende seiner künstlerischen Ausbildung. Eine Vielfalt methodischer Ansätze prägten das akademische Umfeld. Neben klassischen bildhauerischen Arbeitsweisen standen Konzepte im Raum, die als maßgebliches Forschungsgerät den eigenen Körper einsetzten oder die individuelle Biographie möglichst unauflöslich mit den Artefakten zu einem mythischen Konstrukt verschmelzen ließen. Sich der Sichtbarmachung der verstreichenden Zeit unterzuordnen und gleichzeitig von dieser Linearität getragen zu werden, prägte mehrere Lebenswege. Die Abkehr von klassischen bildhauerischen Materialien hin zu kunsthistorisch unbelasteten, traditionslosen Werkstoffen ohne Haltbarkeitsgarantie als nahezu unbegrenztes Aktionsfeld, bot unerschlossenes Terrain. Eingebettet in dieses Zeitgeschehen und vor dem Hintergrund der genauen Kenntnis der verschiedenen zeitgenössischen Vorgehensweisen, traf der Künstler eine bewusste Entscheidung für seine dann individuell zu bestreitende künstlerische Fortentwicklung. Am Beginn eines künstlerischen Weges eine Strategie als lebenslange Richtschnur zu formulieren, die allein als Sprachbild schon eine eigene vorwärtstreibende Dynamik und poetische Strahlkraft hat, zeugt von Gewitztheit. Nach Jahrzehnten des selbstgewählten Lebensthemas sagen zu können „ich bin auf dem richtigen Weg“ (Rummert im Dezember 2011) zeugt von einem Ernst, der dem bezirzenden Bild der Erdumrundung in aller Bescheidenheit ein Stück gelebten Lebens entgegenhält.

Ein leerer Ort wäre die Welt ohne mich, doch weder stelle ich Weichen, noch lasse ich Schranken herunter oder gehöre gar zu denjenigen, welche die großen Züge lenken. Ich gehe lediglich meine Strecke ab.
Gerhard Köpf, Die Strecke, Erstes Buch

Hier können sie den Text von Birgit Höppl zusammen mit den Bildseiten aus dem Katalog "raumzeit" herunterladen.