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Bernd Rummert, Heimarbeit

Museum und Galerie der Stadt Schwabmünchen
2010

Einführung zur Ausstellungseröffnung „Heimarbeit – Objekte von Bernd Rummert“

Museum und Galerie der Stadt Schwabmünchen, 19.07.2010

Mit wem wir es zu tun haben, wissen Sie.
Wozu dies alles führte: zu Heimarbeit. Bernd Rummert sitzt an einem Tisch in seinem Hof in den Stauden und dreht mit einer Rundzange Draht zu Spiralen. Ist die beabsichtigte Anzahl von Umdrehungen geschafft, wird der Draht gekappt und die Arbeit beginnt von Neuem. Immer die gleiche Bewegung, immer das gleiche Ergebnis. Nein, nicht völlig: manchmal sind die Werkstücke 6 Umdrehungen lang, manchmal 20 oder 15 oder... Manchmal werden Werkstücke miteinander verbunden, manchmal gebogen, manchmal entstehen organische Gebilde aus den Spiralen, manchmal klassische Objekte konkreter Kunst.
All seinen Spiralplastiken legt Bernd Rummert jedoch diese immer gleiche Dreh-Bewegung zugrunde – mechanisch, prosaisch, meditativ, unendlich. Teil einer Reise in das eigene Ich und zugleich Teil einer Reise um die Welt.

Rummert schreibt:“Stellen Sie sich einen Draht vor, der die Erdkugel einmal umfasst, also ca. 42.000 km misst.Mein Ziel ist es, diese Drahtstrecke in Etappen zu bearbeiten und so in ganz eigener Weise die Erde zu umrunden... Das Wissen um die Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens ist Bestandteil meines künstlerischen Konzeptes, das ich 1987 begonnen habe. Es war für mich nie von Interesse, die bearbeitete Strecke genau aufzulisten, es ging mir vielmehr darum mit den gewonnenen Teilstrecken mein plastisches Vokabular zu entwickeln.“
Natürlich kann das nicht gelingen. 42000 km. Oder vielleicht doch? Einmal um die Welt? Der Zauber dieses Vorhabens liegt ja auch darin, dass es zwar unmöglich ist, aber irgendwie ja doch möglich scheint. Wenn ich von Rummerts Projekt erzähle, kommt oft die Frage: will er das eigentlich wirklich? Die rein theoretische, völlig absurde Rest-Eventualität, es könne doch etwas daraus werden, macht das Projekt um Vieles spannender als etwa ein Vorhaben, Luft in Säcke zu schöpfen oder die Sandkörner dieser Welt zu zählen.Ein anderer Reiz liegt in der Diskrepanz der Dimensionen des Vorhabens und der Wahl der Mittel, das vorgegebene Ziel zu erreichen. Die riesige Strecke von 42000 km – Bernd Rummert geht sie bescheiden an. Seine Fortbewegung geschieht - in Heimarbeit.

Heimarbeit – das meint vielfach das Bearbeiten von Werkstücken oder das Montieren bereitgestellter Bestandteile zu fertigen Produkten im häuslichen Umfeld. Im Wohnzimmer sozusagen. Und genau das ist der Ort, an dem auch Bernd Rummert arbeitet. Er hat kein Atelier und keine Werkstatt. Er arbeitet in der Stube.
Heimarbeit – das ruft vielfach auch die Assoziation von immer gleichen Handgriffen hervor, von Handgriffen, die man „automatisiert“ nennen könnte. Und genau das sind die Abläufe, die zur Kunst von Bernd Rummert gehören. Der immer gleiche Prozess des Drehens, der Teil von und Voraussetzung für so viele seiner Arbeiten ist. Draht über die Rundzange
drehen, zu Spiralen von mal größerem, mal kleinerem Durchmesser, mal mit Abzweig, mal ohne, - konzentriert und mittlerweile schon mit maschineller Präzision.
Und da wäre natürlich auch noch der regionalhistorische Aspekt. Die Heimarbeit war als Haupt- und Nebenerwerb in und um Schwabmünchen bis weit ins 19. und teils sogar ins 20. Jahrhundert hinein verbreitet. Man denke an die Stricker, man denke jedoch auch an die Bauterer, die mithilfe einer Rundzange, Draht und Perlen Rosenkränze fertigten.
Ein irgendwie rundherum stimmiger Titel also. Der Künstler selbst hat ihn mitgebracht.

Was Sie hinter diesem Titel erwartet? Eine Kunst, in der zwar weitgehend das Leitmotiv in Rummerts derzeitigem künstlerischen Schaffen anklingt, die dies jedoch vielfältig transponiert und variiert.
Empfangen werden Sie von einem 80 kg schweren völlig überdimensionierten Kettenhemd aus 50000 grafitbeschichteten Ringen. Es liegt locker über einem filigranen Kleiderständer aus – Draht.
Das Exponat schräg gegenüber stellt Ihnen einige Arbeiten vor, die als Rohmaterial für kommende Plastiken bereit liegen. Sein Titel ist „Wühltisch“. Im Ausstellungsraum dann begegnen Sie einem Kleingarten aus 75 mal 6 Metern Draht, dem Beweis, dass man aus dem Stiel einer Mistgabel ein räumliches Gebilde machen kann, dem Lauch im Netz, einer Teppichrolle, verschiedenen Reusen, einem Experiment zu Variabilität und Aufhebung von Schwerkraft und manchem mehr. So etwa der „Speicherstadt“, einem auf Horizontalen und Vertikalen aufgebauten „Sortimentsdisplay“ aus Kunststoffboxen, Draht und Teilen von Transportkisten mit Gummireifen-Stempeldruck. Ein Containerzug fungiert als Variation zum Thema. Diese Arbeiten sind von einer fast archaischen Ästhetik. Sie sind kraftvoll, sie biedern sich nicht an und doch sind sie in ihren wohl durchdachten und wohl gemessenen Proportionen einfach schön.
Das Ordnen, das Einordnen, das Sortieren, das Messen – immer wieder finden sich diese Aspekte in Rummerts Arbeiten. Nicht nur in den Titeln, die uns manchmal nur die Länge des verwendeten Drahtes angeben. Sie werden auch in den Arbeiten selbst thematisiert. Ein gutes Beispiel hierfür ist „Zwei Rhythmen“, unser Einladungs-und Plakatmotiv. Es stellt die willkürliche Häufung und die Ordnung in ein kompliziertes und komplexes System einander gegenüber. Auch die zu einander komplementären Arbeiten „Halbzeuge“ und „Leiter“, die einem durch die Gesetze des Magnetismus entstandenen scheinbar chaotischen Gebilde ein Ergebnis bewusster Anordnung durch die menschliche Hand an die Seite geben, unterstreichen dies.
Bernd Rummert ist ein Künstler, der seine Augen offen hält. Ob Minimalismus oder konkrete Kunst, ob Richard Serra oder seine geliebten Engländer wie Richard Deacon, der seine Arbeit ganz ähnlich angeht wie Bernd Rummert, allerdings in einem weitaus größeren Maßstab zuhause ist als dieser, oder Antony Gormley, von dessen Angel of the North Bernd Rummert so richtig mit leuchtenden Augen schwärmen kann – all das und noch viel mehr ist enthalten in dem Stoff, aus dem seine Kunst gemacht ist. In seiner intensiven und leidenschaftlichen Beschäftigung mit der Kunstgeschichte und mit dem Kunstgeschehen
nimmt Rummert Einflüsse auf, trägt sie in sich, verarbeitet sie und macht sie zu etwas, das ganz sein Eigen ist. Er kopiert nicht, er empfindet nicht nach, er geht seinen eigenen Weg.

Wenn man von seiner Beschäftigung mit der Kunstgeschichte spricht, dann darf man allerdings ein Thema nicht außen vor lassen, gerade weil es auch das Gesicht unserer Ausstellung entscheidend prägt. Die Rede ist vom Reizwort Sockel. Spätestens seit Constantin Brancusi, für den ein individuell gestalteter Sockel untrennbar zu einem Kunstwerk gehörte, seit also Brancusi zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Preis für den Sockel einer Skulptur genau so hoch ansetzte wie den für die Skulptur selbst, ist der Sockel Thema in der Kunst. Und das sicher mit Recht. Ein Sockel muss sein Bestes geben in Proportion und Gestaltung, um das, was er trägt, adäquat zu präsentieren. Ich hoffe und glaube, dass der einzige klassische Sockel, den wir in der Ausstellung verwenden, diesen Vorgaben entspricht. Einen weiteren Sockel werden Sie noch finden. Bei ihm handelt es sich jedoch, den auf ihm präsentierten, in Heimarbeit entstandenen Werken gemäß, um einen einfachen Tisch. Doch noch weiterhin ist das Thema Sockel in der Ausstellung präsent. Der Arbeit „Wühltisch“, von der ich schon gesprochen habe, dient eine auf einem Tisch befestigte Schalung als Mittel der Präsentation. Und in seinen Arbeiten „Papierkorb“ 1 und 2 schließlich stülpt Rummert die Idee des Sockels praktisch um. Er stellt seine Werke nicht auf einen Sockel, sondern quasi in einen umgestülpten Sockel – den Papierkorb - hinein. Die anderen Exponate kommen scheinbar ganz ohne Sockel aus. Sie besetzen Orte auf dem Fußboden. Doch – es ist der Fußboden eines Museums, einer Galerie. Und auch wenn Bernd Rummert mit Marcel Duchamps nicht viel am Hut hat: der Fußboden eines Ausstellungsraumes wird nun mal anders angesehen als ein Fußboden anderswo. Er wird – und man kann das in der Ausstellung recht deutlich erfahren - zu einer Art Generalsockel oder zu einem Bühnenboden, auf dem die Plastiken wie Requisiten oder gar wie Akteure ihre Positionen eingenommen haben. Nun agieren sie im Zusammenspiel miteinander und mit den Betrachtern, die um sie herumgehen, sie aus verschiedenen Perspektiven ansehen, sie in verschiedenen Beleuchtungssituationen erfahren können. Ob die Exponate ihre Plätze behalten oder dadurch, dass Besucher versehentlich an sie stoßen, auf dem Boden-Sockel wandern werden, ist noch ungewiss. Doch wir meinen, sie können ruhig wandern, solange sie das Haus nicht verlassen. An dieser Stelle möchte ich Sie noch kurz warnen. Zwei der Exponate waren in ihrem früheren Leben mal Mistgabeln und das wären sie auch heute noch, wären sie nicht zu etwas Höherem berufen worden. Doch die primäre Fähigkeit, zustechen zu können, haben sie sich bis heute erhalten. Seien Sie also vorsichtig und halten Sie sich lieber ein wenig fern. Kunst kann gefährlich sein, auch wenn sie in Heimarbeit entstanden ist.

Nun möchte ich mich bei Carla Andrä und Josef Holzhauser für Text und Töne bedanken. Die Auswahl ist wirklich gelungen. Dank weiterhin an Frau Reichenauer, Herrn Fabricius, Herrn Heim, Frau Fischer und Frau Presnitz und an meinen Sohn Markus für die Hilfe bei der Vorbereitung der Eröffnung.
Und weil wir, seit die Exponate stehen und hängen, so manch ratlosen Blick von Vorab-Besuchern aufgeschnappt haben, möchte ich Ihnen noch ein Zitat meines Sohnes mit auf den Weg geben.Als ich ihn fragte, was er zu den Objekten in der Ausstellung sagt, meinte er: „Ich weiß manchmal nicht so genau, was der Künstler sagen will. Ich kann mir zwar sehr viel bei den Objekten denken, aber ich weiß nicht, ob es ‚stimmt‘, was ich mir denke. Aber darauf kommt es ja eigentlich auch gar nicht an, oder?“
Und Recht hat er. Folgen Sie einfach dem Draht durch seine Verwindungen, Verstecke und Verwandlungen und genießen Sie, welche Ästhetik Bernd Rummert seinen Aufbewahrungsboxen, Gummibändern, Versandkisten und Gummireifen abringt – und seinem Draht. Gehen sie ein Stück mit ihm auf dem Weg zu seinem Ziel und hoffen Sie mit mir, er möge dieses Ziel niemals erreichen. Denn das würde das ganze Unternehmen zu einem schlichten Rekordversuch schrumpfen lassen. Nichts wäre mehr übrig von dem so wunderschön poetischen Gedanken, Draht einmal um die Welt zu drehen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude in der Ausstellung, am Buffet und jetzt gleich nochmal mit Text und Tönen.

Sabine Sünwoldt